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Titel"Müssen" wir uns der Digitalisierung stellen?
Publication TypeWeb Article
Year of Publication2022
AuthorsKerres, M
PublisherDeutscher Volkshochschulverband
CityBonn
Abstract

Impuls von Michael Kerres zu Forum 8 auf dem Volkshochschultag 2022 am 21. Juni 2022


Einleitungstext des Veranstalters:
Forum 8: „Die digitale Kommune - smart, vernetzt, gerecht?“ 
"Der digitale Wandel ist in aller Munde: Politik, Wirtschaft und Bildung – sie alle müssen sich den Änderungsprozessen stellen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Und sie müssen die hochgradig dynamischen Digitalisierungsprozesse kontinuierlich mitgestalten, sich ständig weiterentwickeln in einer von schnellem Wandel geprägten Gesellschaft. In Folge der Corona-Pandemie wurden viele Maßnahmen zur Digitalisierung auf den Weg gebracht, der politische Wille zu einer schnellen digitalen Transformation war nie größer. Kommunen und die darin agierenden Bildungseinrichtungen stehen vor der Herausforderung, die Bürger*innen auf diesem Weg zu begleiten. Doch wie sehen sie aus, die digitale Stadt und der digitale Landkreis? Was können sich Bürger*innen unter einer Smart City und einer Smart Region vorstellen? Welche Rolle spielt die Weiterbildung bei der Digitalisierung der Kommune? Wie können Kooperationen zwischen Kommune und Volkshochschule gestaltet werden? Und mit welchen Partnern werden Volkshochschulen zukünftig noch zusammenarbeiten?"

URLhttps://www.volkshochschultag.de/programm/forum-8-digitale-kommune.php
Vollständiger Text

Michael Kerres

„Müssen“ wir uns der Digitalisierung stellen?

Das Schlagwort Digitalisierung erfährt große Aufmerksamkeit. Doch wie verstehen wir Digitalisierung? Bereits in den genutzten Begriffen ist eine Positionierung zu erkennen. Wir hören: Das Digitale sei „Neuland“. Es gilt, sich nun „auch“ dem Digitalen zuzuwenden. Wir sprechen über Kompetenzen für die digitale Zukunft in einer, sich immer schneller verändernden Welt. Wir dürfen den Anschluss nicht verlieren. Es gilt, die Menschen zu „begleiten“. Wir sprechen über „die Zukunft“ der Stadt / der Kommunen. In allen diesen Formulierungen werden Sichten und Wertungen erkennbar, die wir hinterfragen können (und sollten).

Im Kern legen alle Formulierungen nahe, es gäbe „die Zukunft“ und die Aufgabe der Weiterbildung bestehe darin, die Menschen auf diese Zukunft vorzubereiten, sie auszubilden und zu begleiten. „Die Zukunft“ scheint ein Resultat technischer Entwicklungen zu sein. Die Formulierungen schreiben damit fest, dass die Technikentwicklung gesellschaftliche Entwicklung determiniert. Die Dampfmaschine und die Elektrizität haben den Weg zu Massenfertigung und Industriegesellschaft eröffnet; die Ausgestaltung der Moderne ist jedoch ein ständig andauerndes Ergebnis gesellschaftlicher Verhandlungen: Wie wir heute als Gesellschaft zusammenleben, ist Ergebnis der Auseinandersetzung der Menschen mit Bezug auf die ständig sich erneuernden technischen Entwicklungen. Die Digitalisierung ist nochmals wirkmächtiger als die genannten Technologien; sie dringt noch mehr in unseren Alltag ein. In verschiedenen Subsystemen der Gesellschaft hat sie ihre disruptive Qualität gezeigt. Sie wird zugleich unsichtbar und entwickelt ein Eigenleben. Damit gilt es umzugehen und das Verhältnis von Mensch und Technik in dieser Entwicklung weiterzudenken. Die Idee, sich auf die Souveränität des Menschen in der „Beherrschung“ von Technik (zurück) zu besinnen, wird brüchig. Die Forderung nach „digitaler Souveränität“ versteht den Menschen als autonomes Subjekt, dem die Technik dient, und es wird schwierig, eine solche Sicht auf Technik aufrecht zu erhalten.

Interessant ist hier das Paradox: Wir schreiben der Technik eine große Wirkmächtigkeit zu. Die Technik scheint die Zukunft der Menschen zu definieren und gleichzeitig fordern wir die Souveränität des Menschen. Wir bleiben dem Bild verhaftet, dass die Menschen Technik erschaffen, die ihnen dient. Dirk Baecker spricht von dem Kontrollverlust, mit dem die „nächste Gesellschaft“ lernen muss umzugehen. Sie geht einher mit der Zumutung, dass zentrale Ideen der früheren Epoche – mit dem Buch als dem dominanten Medium – nicht mehr „funktionieren“. Sie basierte auf der Ausbildung von Kritikfähigkeit und ihrer Artikulation, die das Individuum in der Moderne als mündiges Subjekt auszeichnen. Was aber, wenn die Technik sich nun ganz anders in unsere Kommunikation und Handlungen einschreibt und dabei unsichtbar an der gesellschaftlichen Kommunikation mitwirkt? Solche Überlegungen sind recht grundlegend, weil sie anregen nachzudenken, was uns als Mensch in der digitalen Epoche ausmacht, wie wir unser Menschsein in Relation zu Technik verstehen und Souveränität in einem anderen Relation des Menschen mit Technik definieren können.

Was kann das für die Erwachsenenbildung bedeuten? Noch sind wir mühsam mit den vielen Hürden beschäftigt, das Digitale für unsere Bildungsanliegen nutzbar zu machen. Die Potenziale des Digitalen für das lebenslange Lernen, sind erkennbar, und dennoch stellen sich die vielfach erwarteten Effekte in vielen Fällen gar nicht ein. Viele Erwartungen erweisen sich als unrealistisch, übrigens auch wie viele Befürchtungen. Das Digitale erweist sich als sperrig, wir brauchen viel Mühe und Aufwand, die Technik für unsere Ziele nutzbar zu machen. Doch diese Erfahrungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, wie das Digitale unsere gesellschaftlichen Vollzüge bereits durchdrungen hat und dadurch wirksam wird. Es ist zunehmend einfach da, oft anders als erwartet. Menschen lernen mit Youtube. Menschen lernen in Communities auf Plattformen. Menschen tauschen sich weltweit aus. Es entstehen völlig andere Lernszenarien und Lernorte. In ihnen verweben sich lokale und globale Anliegen und Initiativen. Digitale Vernetzung und persönliches Zusammenkommen sind dabei keine Gegensätze, sondern essentiell miteinander verwoben. Die Trennung von digital und nicht-digital verschwindet. Das Leben in der „Smart City“ kann durch solche Phänomene beschrieben werden.

Wie gehen wir damit um? Diese neue Gegebenheiten des Lernens in Kommunen und den Gelegenheiten für das Lernen hat sich kein Bildungsplaner ausgedacht und wir können vermuten, dass die Bildungsplanung auch in Zukunft wenig Auswirkung auf diese globalen Entwicklungen haben wird. Können die Volkshochschulen und Kommunen dann nur zuschauen? Auch hier wären wir wieder in der Falle des Technikdeterminismus verfangen. Tatsächlich werden wir anerkennen, dass uns weitere maßgebliche Veränderungen bevorstehen: in den Orten und Formaten, wo Lernen im Austausch mit anderen, mit verfügbaren Informationen und didaktische aufbereiteten Inhalten stattfindet. Entscheidend wird sein, wie wir damit umgehen, und ob es gelingt, diese neuen Orte und Formate geschickt mit den Anliegen einer Erwachsenenbildung einzulösen, die „alle“ Menschen erreichen und Teilhabe fördern will.

Weder Dampfmaschine noch Elektrizität, die mit Wucht die Arbeitswelt veränderten, haben definiert, wie wir zusammenleben und welche Werte unser Zusammenleben prägen. Das Aufkommen des Kapitalismus einerseits und die Gewerkschaftsbewegung andererseits waren charakteristisch für die Aushandlungsprozesse, die die gesellschaftliche Entwicklung in den letzten beiden Jahrhunderten geprägt haben. Die Aushandlungsprozesse in dem durch Digitalität geprägten Zeitalter wird entlang anderer Linien verlaufen, die vermutlich nur global anzugehen sind.

Die Smart City wird durch Digitalisierung geprägt sein. Doch Digitalisierung wird nicht das Ziel der Smart City sein, sie wird vielmehr die Digitalisierung – hoffentlich – nutzen, um das Zusammenleben der Menschen, den Austausch und die Verständigung zu unterstützen, als Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung. Erwachsenenbildung hat dabei eine (vielleicht) ganz einfache Aufgabe: Heute sind wir noch darauf fokussiert, die digitalen Tools für Bildungsangebote nutzbar zu machen und „digitale Kompetenzen“ zu vermitteln. Doch wenn sich das Digitale erst einmal in die persönlichen, betrieblichen und gesellschaftlichen Prozessen eingelagert hat, geht es um die Frage der Gestaltung einer solchen - durch das Digitale geprägten - Kultur. Es gilt zu antizipieren, dass dieser Übergang zu einer „nächsten Gesellschaft“ durch Verunsicherung, Disruption und Enttäuschung gekennzeichnet ist. Im Kern aber macht das eine Verständigung notwendig, was uns in dieser Gesellschaft trägt und was die Ziele und Werte sind, die uns als Kultur verbindet.

 

 

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